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Sackgasse Israel: Flüchtlinge aus Afrika in Tel Aviv

Zuletzt aktualisiert am 26. September 2017 um 17:23

Tel Aviv, Februar 2014. Mehr als 50.000 Flüchtlinge aus dem Sudan und Eritrea sind in Israel gestrandet. Während die Regierung alles tut, um sie schnell wieder los zu werden helfen Israelis mit Lebensmitteln, Decken und einer Bibliothek im Park.

Flüchtlinge Firmo ist leicht zu finden. Er wohnt im Park gegenüber der Polizeiwache. Mit drei anderen Flüchtlingen schläft er auf der zweiten Matratze von rechts. Zum Waschen gehen die vier Eritreer ans Meer, zum Essen setzen sie sich auf den Boden oder auf eine Bank. Satt werden sie nur selten von dem Geld, dass sie sich rund um den Levinsky-Park im armen Süden Tel Avivs erbetteln. Ab und zu bringen gute Menschen ein paar Kleidungsstücke oder Lebensmittel.

Rechtlos

Vor zwei Jahren ist Firmo abgehauen, „egal wo hin, nur weg“. Weg aus Eritrea. „Wir sind evangelisch. Mein Vater sitzt deshalb seit sieben Jahren im Gefängnis.“ Der junge Mann berichtet sachlich, als habe er seine Geschichte schon oft vorgetragen. Sein Gesicht mit den müden dunklen Augen ist von den Strapazen der Flucht und dem Leben im Nirgendwo gealtert.
20 sei er und alleine nach Kairo geflohen. Von dort brachten ihn Schlepper vor zwei Jahren durch den Sinai an die israelische Grenze. Seitdem hängt er in Israel fest. „Rechtlos“, wie sie sagen. Manche Passanten beschimpften und bespuckten sie, die meisten gehen achtlos vorbei. Manche helfen.
In den Straßen rund um den Levinsky Park haben einige der Eritreer und Sudanesen kleine Läden aufgemacht, verkaufen Handys, Lebensmittel oder Kleinkram. Viele Schaufenster sind in Tigrinia, der eritreischen Sprache, beschriftet. Junge Schwarze hocken oder stehen am Straßenrand, unterhalten sich mit Freunden und schlagen die Zeit tot. Viele Israelis, die es sich leisten können, ziehen weg.
South Tel AvivSouth Tel Aviv

 

 

 

Auf meinem Weg durch dieses Stück Afrika in Israel spricht mich ein alter Mann auf meine Sandalen an. „Er habe richtige Schuhe“, sagt die hagere Gestalt erst auf Hebräisch, dann in gebrochenem Englisch und zeigt auf seinen winzigen Schuhladen zwischen Handybude und Kiosk.

“They are not my Friends”

Das Geschäft habe er von seinem Vater geerbt. Es besteht seit 65 Jahren. Über die vielen Afrikaner im Viertel freut er sich nicht. „They are not my friends“, schimpft er immer wieder. Für eine Erklärung reicht weder mein Hebräisch noch sein Englisch.
„Infiltratoren“, „Eindringlinge“ nennen israelische Regierungsvertreter und viele Zeitungen die landesweit etwa 56.000 Afrikaner, die es zuhause in Darfour, im Bürgerkriegsland Südsudan oder unter der Militärdiktatur Eritreas nicht mehr ausgehalten haben. Israel hat die Grenze zu Ägypten inzwischen geschlossen. Ein mit Alarmmeldern ausgerüsteter Zaun teilt die Wüste zwischen den beiden Ländern. Zeitungsberichten zufolge hätten ihn bisher erst zwei „Infiltratoren“ überwunden.
Die, die schon da sind, überleben dank Leuten wie Yigal. Mit ein paar Freunden hat er anderthalb Jahre lang im Levinsky Park jeden Tag Lebensmittel an die Flüchtlinge verteilt. Jetzt sammelt der 47jährige Künstler mit freiwilligen Helfern vor allem Decken und Kleidung. In den feuchten Winternächten wird es kalt: fünf Grad. Nach den Regengüssen im Dezember stand der Park unter Wasser.
Mit seinem Atelier ist Yigal 2012 in ein Gewerbegebiet im Süden Tel Avivs gezogen. Ein paar Bushaltestelle hinter dem Alten Busbahnhof zwischen Brachflächen, heruntergekommenen Bürogebäuden Schrotthändlern, kleinen Cafés, Kramerläden und einer Durchgangsstraße hat er im zwölften Stock eines Hochhauses Quartier bezogen. „Der Vermieter hat uns das Lager nebenan kostenlos überlassen.“ Auf rund 150 Quadratmetern stapeln sich Kartons und Plastiksäcke voller Tücher, T-Shirts, Jacken und Hosen. Soup for Lewinski„Wir brauchen vor allem Spielzeug, Kinderkleidung und Männersachen“ sagt Yigal. Jeden Freitag kommen Freiwillige, um die Spenden zu sortieren. Yigal fährt sie mit seinem VW-Geländewagen in den Levinsky-Park oder bringt sie zu den Kindergärten, die ehrenamtliche Helfer zusammen mit den Flüchtlingen in winzigen Wohnungen und Büros eingerichtet haben.

“Der Staat hält sich raus”

Der Staat hält sich raus. „Die Flüchtlinge bekommen keine Unterstützung“, berichtet Yigal. Offiziell dürfen sie nicht arbeiten, aber die Regierung habe nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs zugesagt, dass sie das Arbeitsverbot nicht durchsetzen werde. So jobben die Flüchtlinge mal hier mal da. Adam aus Darfour zum Beispiel, der die meiste Zeit bei Yigal im Atelier verbringt und bei Bedarf mit anfasst, hat eine Zeit lang Orangen eingepackt. Jetzt ist die Ernte vorbei. 23 Schekel, gut vier Euro hat ihm die Firma pro Stunde bezahlt, den offiziellen Mindestlohn – immerhin. „Manche zahlen weniger“, berichtet Yigal, „manche gar nicht. Andere behandeln die Flüchtlinge sehr gut.“
Wer Israel bis Ende März (2014) „freiwillig“ verlässt, bekommt vom Staat 3500 US-Dollar auf die Hand. 1700 hätten das Angebot im Februar angenommen. Wer bleibt taucht unter, um nicht unbefristet eingesperrt zu werden. Die israelische Regierung hat in der Negev-Wüste Lager für die so genannten Eindringlinge eingerichtet. Nachdem der Oberste Gerichtshof die zeitlich unbegrenzte Haft in geschlossenen Einrichtungen als rechtswidrig untersagt hat, werden die Flüchtlinge jetzt über Nacht interniert. Tagsüber dürfen sie raus. Das Lager Holot liegt weit ab in der Negev-Wüste, zwei Fahrstunden südlich von Tel Aviv .
Zeitungsberichten zufolge hat die Netanjahu-Regierung mit Uganda vereinbart, dass es die Afrikaner aus Israel aufnimmt. „Da können wir ja gleich zurück nach Hause gehen“, schimpfen Adam und Firmo. Sie haben Angst, dass sie die ugandische Behörden in ihre Heimatländer abschieben. Die israelische Zeitung Haaretz berichtete Ende Februar, dass im Sudan auf die Flucht nach Israel die Todesstrafe stehe.

„Das sind doch keine Flüchtlinge“,

findet Carmela. „Die kommen hier her, weil sie bei uns ein besseres Leben suchen.“ Israel sei der einzige jüdische Staat auf der Welt, zu klein und zu voll für die vielen Menschen. „Deshalb können wir keine nichtjüdischen Einwanderer aufnehmen. Die holen dann ihre Familien nach und es werden immer mehr.“ Carmela, Ende 50, arbeitet als freiberufliche Touristenführerin auch für das staatliche Fremdenverkehrsbüro. Sie wohnt in einem der vielen Tel Aviver Vororte: Reihenhäuser, Vorgärten. Die Familien kommen mit zwei Einkommen über die Runden, manche sehr gut, manche nur mit größter Mühe. Carmelas Eltern haben den Holocaust in Europa knapp überlebt. Nach dem Krieg sind sie nach Israel geflohen.
„Wir sind doch selbst ein Land von Flüchtlingen“, begründet Yigal sein Engagement für die Afrikaner vom Levinsky-Park. Ein Jahr lang habe er keinen Cent verdient, war kaum zuhause und habe oft nur in seinem Auto geschlafen. Seine Frau, eine Architektin, habe ihn kaum gesehen und das Geld verdient. „Zum Glück“, sagt er, trägt sie das mit.

Flüchtlingsbibliothek Die Flüchtlingskinder gehen in Israel zur Schule. Viele sprechen schon gut Hebräisch. Freiwillige haben im Levinsky-Park für sie eine Bibliothek eingerichtet und helfen ihnen bei den Hausaufgaben.

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Tel Aviv

Von Robert B Fishman

freier Journalist, Autor (Hörfunk und Print), Fotograf, Moderator, Reiseleiter und mehr

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