Zuletzt aktualisiert am 13. August 2017 um 19:17
Mitte November staune ich über eine Mail in französischen Nationalfarben Blau-Weiß-Rot. Die Nationale Front (Front National) lädt mich zur Wahlkampf-Kundgebung im vornehmen Palais Méditerrannée direkt an Nizzas mondänen Strandpromenade ein. Da ich gerade in der Nähe bin, schaue ich mir die Herrschaften gerne persönlich an:
Rund 100 Leute stehen in einer großen Traube vor dem Casino und Event-Palast an der Promenade des Anglais, Nizzas glitzernder Strandpromenade. Kein Schild, kein Plakat, nichts weist auf eine Veranstaltung der Nationalen Front hin. Wahrscheinlich abgesagt, vermute ich, frage aber einen Glatzkopf in schwarzer Uniform. An der Brust trägt er ein silbernes Logo mit einem Schwert und den Buchstaben RF (République Française). Ja, er gehöre zur ehrenamtlichen Sicherheitsgarde der Partei. Drinnen spreche gerade Marine Le Pen und ihre Nichte Marion, die als Spitzenkandidatin für die südostfranzösische Region PACA antritt. Wollen all die Leute noch rein?, frage ich ihn. „Ja“, antwortet er freundlich, „aber wir können die Mauern leider nicht verschieben. Der Saal ist zu klein.“ Er zeigt auf meinen Fotorucksack. „Sind Sie Journalist?“ Er lotst mich an der Schlange vorbei durch einen Seiteneingang. Kurze Taschenkontrolle. Ich darf passieren.
Im ersten Stock drängeln sich Zuhörer vor der Saaltür. Drinnen gibt es nur noch ein paar Stehplätze. Auf der blau-weiß-rot angestrahlten Bühne reden die beiden Le Pens von der Würde und dem Stolz dieses Landes und seiner wunderbaren Menschen, vom Vaterland und den großartigen Traditionen, auf die „wir uns besinnen sollten“. So viele über Generationen gewachsene kleine und mittelständische Unternehmen mit einem Schatz an Wissen und Erfahrungen gelte es zu schützen und zu bewahren. Das Publikum lauscht.
„Mit Putin gegen den Terrorismus“
Le Pen fordert, auf Russland zuzugehen und gemeinsam mit Monsieur Poutine den Terrorismus zu bekämpfen. Am meisten litten doch die arabischen Länder selbst unter dem Terror. „Wir müssen sie unterstützen: Syrien, Ägypten, Tunesien.“
Man dürfe nicht mehr unkontrolliert Einwanderer ins Land lassen, schimpft Parteimutter Marine Le Pen. „Wohin die Illusion der multikulturellen Gesellschaft führt haben wir gerade in Paris gesehen“. Der Rest ihres Satzes geht im Jubel der fahnenschwenkenden Fans unter.
Madame Merkel behaupte, für Europa zu sprechen, wenn sie Flüchtlinge einlade. „Haben Sie sie dazu ermächtigt?“, fragt die Rednerin. „Nein“, schallte es ihr entgegen. Im Publikum: Viele junge Leute, ein paar Ältere, die meisten freundlich, entspannt. Ganz normale Gesichter. Nur wenige sehen so aus, als habe Gott sie beim Verteilen der Intelligenz übersehen. Hier versammeln sich nicht die ewig zu kurz Gekommenen, die einen Schuldigen für ihr eigenes Unglück suchen.„Sind Sie Journalist?“, fragt mich eine freundliche ältere Dame als sie die Kamera in meiner Hand sieht. „Natürlich dürfen sie fotografieren. Das ist doch Ihre Arbeit.“ Zum Abschluss erheben sich die Le Pens und ihre Adjutanten auf dem Podium und stimmen die Marseillaise an. Das Publikum singt inbrünstig mit. Der ganze Saal scheint zu beben.
An der Treppe sammeln zwei Frauen Spenden in einer französischen Trikolore. „Das ist für unseren ehrenamtlichen Sicherheitsdienst“, erklärt eine der beiden. Fast alle, die aus dem Saal kommen, werfen Scheine in die Flagge, manche 50er, viele Zehner und Zwanziger.
Königstreu beim Front National
Am Rande der Menschentraube vor dem Eingang fällt mir eine hell Blondierte mit Pelzmütze auf dem Kopf und französischer Fahne in der Hand auf. Sie unterhält sich mit einem Mann, der sein weißes Schoßhündchen im Arm hält. Benjamin hat sich die Augen mit Kajal Stift geschminkt . Am schwarzen Mantel trägt er einen Anstecker in Form der französischen Königslilie, auf dem Kopf einen schwarzen Hut. „Er sei Royalist“, sagt er, „weil es den Ländern, die noch einen König hätten, doch besser geht als Frankreich. Selbst Spanien hat uns inzwischen überholt.“ Mit den landesüblichen Wangenküsschen verabschiedet er sich von seiner blondierten Begleiterin.
Er wohne in Cannes, werde wohl noch eine ganze Weile auf den Bus warten müssen. Weil ich sowieso in die Richtung fahre und wissen möchte, warum so ein (etwas tuntig wirkender) Schwuler bei der FN auftaucht, nehme ich ihn gerne im Auto mit. Gemeinsam gehen wir über den straßenbreiten Bürgersteig der Promenade in Richrtung des Hotels Negresco. Er erzählt mir, dass er die als öffentlichkeitsscheu und exzentrisch stadtbekannte Inhaberin kenne. Als gelernter Schauspieler sei er mit seinen Shows häufig im Negresco und anderen Luxushotels aufgetreten. Nun, mit 60, trete er etwas kürzer.
Schwul und voller Sehsucht nach dem alten freien Frankreich
Den langen Weg nach Nizza (zwei Stunden mit dem Bus) sei er gekommen, um Marine Le Pen und ihre Nichte zu sehen. Aus seiner Homosexualität macht er kein Geheimnis. So frage ich ihn, ob er sich als offen Schwuler beim FN denn gut aufgehoben fühle. „Ja, kein Problem.“ Einen der Sicherheitsmänner kenne er aus einer Homo-Bar. „Der hat mich hier auf der Veranstaltung ganz offen angebaggert“, erzählt er lachend. Und was ist mit den rechten Demos gegen die Homo-Ehe, die die Nationale Front mit veranstalte. „Ach wissen Sie“, sagt er, „das muss man alles nicht so ernst nehmen“. Früher sei er Kommunist gewesen, aber die Linken „haben mich enttäuscht“. Außerdem hätte ein Araber 1982 seinen Bruder getötet. Marion und Marine Le Pen seien ihm sympathisch, weil er sich „das alte, freie Frankreich wie in den 60er Jahren“ zurückwünscht. Deshalb versuche er nun sein Glück bei den Rechten. Wenn ihn auch die enttäuschten, werde er sich wieder abwenden. Um die Demokratie in Frankreich macht er sich keine Sorgen. „Das wird alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird.“
Eine Antwort auf „Front National: Der rechte Charme des neuen Frankreich“
Article intéressante.