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Stadt der Gegensätze: Meine Reportage aus Oslo

Zuletzt aktualisiert am 7. Juli 2017 um 0:15

Stadt der Gegensätze
Oslo ist so bunt wie seine Einwohner. Nach der Arbeit pulsiert das Leben in Norwegens Hauptstadt zwischen modernen Neubauten und stuckverzierten Villen – von Sommerszene, Skifahren bis hin zu Jazz im Park. Dabei entwickeln die Norweger auch noch gute soziale Ideen.

Stadt der Gegensätze

Von Robert B. Fishman

Eine Ansammlung in die Stadt geworfener Büro- und Wohnhäuser mit braunen, schmiergrünen oder grauen Fassadenverblendungen: Oslo ist hässlich – und schön: Stadtvillen und Bürgerhäuser aus dem 18. Und 19. Jahrhundert, manche mit Stuck verziert – vorbildlich renoviert reihen sie sich an breiten Alleen, deren Ruhe nur selten ein vorbeifahrendes Auto stört. Oslo ist Zukunft: Wo einst gleich hinter dem Rathaus Schiffe vom Stapel liefen spiegeln sich futuristisch ineinander verschachtelte Wohngebirge im blauen Meer.  Bars, Kneipen und Restaurants sind voll, auch wenn ein einfaches Gericht 30 und mehr Euro, ein Bier mehr als einen Zehner kostet. Oslo ist reich  – und arm: Auf den Straßen betteln zerlumpte Gestalten, in der Hoffnung auf ein paar Kronen, mit denen sie über den Tag kommen können. Eine Annäherung an eine Stadt der Gegensätze:    

„Ruf mich an, wenn Du etwas brauchst“, verabschiedet sich der Mann aus dem nagelneuen Zug, der den Flughafen Torp mit dem Hauptbahnhof verbindet. „Ich bin die nächsten zwei Tage hier, habe aber viele Termine.“ Die meisten Norweger fahren nur in die Stadt, wenn es sein muss.

Kein Wunder: Seit den 60er Jahren zerstückelten Stadtsanierer die Innenstadt mit rohen Klötzen. „Wir haben hier mit Neubauten keine Probleme“ erzählt mit leicht ironischem Unterton eine Stadtführerin. Reihenweise seien mit dem Beginn des Ölbooms die alten Häuser der Abrissbirne zum Opfer gefallen.

Ein Stück weiter östlich beginnt im Stadtteil Grönland Südasien. Auf der Suche nach Job und Glück zogen vor 30, 40 Jahren Tausende Pakistani nach Oslo. Viele ihrer Nachkommen sind Norweger geworden: zurückhaltend, freundlich und gesetzestreu: Pünktlich um 23 Uhr 59 verscheucht einer von ihnen auf Grönlands gleichnamiger Hauptstraße mit ihren vielen Cafes und Kneipen seine Kneipengäste nach drinnen. „Die Nachbarn“, murmelt er und zeigt auf seine Armbanduhr. Gesetz ist Gesetz, auch in einer 25 Grad warmen Nacht.

„Here, it’s all about work“, „hier dreht sich alles um die Arbeit“, erzählt Curtis, ein junger US-Amerikaner, der lange in England, der Schweiz und anderen Ländern gelebt hat. Nach Oslo ist er vor bald vier Jahren der Liebe wegen gekommen. Seine Frau ist Norwegerin. Jetzt haben die beiden ein Kind bekommen. Wenn er sich nicht gerade um seinen Sohn kümmert, vermietet er Fahrräder oder führt Touristen auf seinen Rädern durch die Stadt.  „Oslo“, sagt er, „ist die perfekte Stadt um eine Familie zu gründen“: Ruhig, freundlich, viel Natur und wenig Stress.

Im Winter könne er mit Langlaufskiern vom Balkon seiner Wohnung springen und direkt losfahren.  Im Sommer lockten die zahlreichen Inseln mit ihren Stränden. „Laid back country“, ein entspanntes Land nennt Curtis seine Wahlheimat, die für ihn „das beste Sozialsystem der Welt“ hat. Die Leute seien zurückhalten, pflegten eher die leisen Töne, aber unterkühlt seien sie deshalb nicht, eher „professionell im Umgang“.

So richtig laut wird es nur abends in Clubs wie dem Hausmania, einem ehemals besetzten Haus, das die Betreiber inzwischen von der Stadt gemietet haben. Zum Nationalfeiertag steigt hier wie an jedem Wochenende eine Party. Zwischen neun und zehn Uhr legen Amateur-DJs auf. Wer mag, meldet sich an, bekommt das ok und los geht’s.

Club Hausmania

Übers Internet verabreden sich die Fans psychedelischen Elektrosounds auch gerne draußen in den Wäldern rund um Oslo. Oft Stunden lang schleppten sie die schweren Musikanlagen durch die Landschaft, um in Ruhe an einem See unter Bäumen zu feiern. „Spuren hinterlassen wir keine“ versichert Jan-Erik. „Wir lieben die Natur.“ Oslo sei eine Metropole für innovativen Elektro-Sound, meint der 32jährige und auch viele gute Jazzmusiker sammelten sich hier. Jan-Erik stammt wie viele junge Leute in Oslo aus einem Provinznest an der langen, verregneten Westküste Norwegens. Die Hauptstadt mag er nicht nur wegen des besseren Wetters. Hier gäbe es eine gute Clubszene und vor allem die Vielfalt, die er in der Provinz vermisst habe.

Parade zum Nationalfeiertag am 17. Mai: das Volk zieht an der Königsfamilie vorbei, die vom Balkon des Schlosses stundenlang winkt

Im wohnzimmerkleinen Innenhof des Hausmania kommt die Party allmählich in Schwung. Die Leute tanzen oder machen es sich auf den Sperrmüll-Sofas bequem.

Ein karibischer Rastafari hat noch die norwegische Fahne im Kragen stecken. Wahrscheinlich war er auch auf der jährlichen Parade zum Nationalfeiertag. Stundenlang ziehen Schulklassen, Kindergruppen, Chöre, Studenten und Vereine  fahnenschwingend, lachend, musizierend über die breite Allee vom Parlament zum Schloss.  Dort steht die Königsfamilie von morgens um Zehn bis weit in den Nachmittag auf dem Balkon und winkt. Selbst der Prinz und die Prinzessin, beide vielleicht sieben oder acht Jahre alt, halten tapfer durch. Die Norweger feiern den Jahrestag ihrer Verfassung von 1814.

In den Parks rund um die Parademeile Karl Johan Gate picknicken Familien und junge Paare. „Wir sind stolz auf unser Land, lieben es und feiern es heute“, antworten Junge wie Alte auf die Frage, was ihnen der 17. Mai bedeute: Ein Familientag, an dem sich alle schick machen. Viele Mütter und Großmütter nähen die Trachten nach alten Vorlagen auch heute noch selbst.

Weniger nach Feiern ist den vielen Bettlern, die den Passanten auf den Bürgersteigen Pappbecher entgegenstrecken. Manche der abgerissenen Gestalten sprechen beschämt Vorbeigehende an, mitunter freundlich, gelegentlich auch aggressiv in gebrochenen Norwegisch oder Englisch an. „Please, I have children hungry“, an.

Manche der Bettler sitzen nicht mehr auf dem kalten Boden sondern halten stehend ein Heft in der Hand: Das Folk er Folk Magazin. „Mensch ist Mensch“ heißen das Magazin und die Organisation, die es herausgibt.

Ihr Sprecher Peter Gerasch, auch ein Rom, ist in Deutschland aufgewachsen, hat lange in den USA gelebt und ist nun zu seiner Frau nach Oslo gezogen. Das Elend der Roma aus Rumänien auf den Straßen der Stadt habe ihn erschüttert.  Am meisten berühre ihn, dass nun Bettler nicht mehr am Boden sitzen sondern aufrecht und stolz das Heft anböten. Im Winter ist das eine Frage des Überlebens. Polizisten bestünden darauf, dass die Bettler am Boden sitzen, um nicht so aufdringlich zu wirken. Bei Temperaturen um – 20 Grad und kälter würden deshalb viele krank.

Die Roma wollten in Norwegen vor allem eines: Arbeiten. Doch kaum jemand traut sich, einen „Zigeuner“ anzustellen, zumal viele von ihnen keine Berufsausbildung haben, ja nicht einmal lesen oder schreiben können – von Norwegisch- oder Englisch-Kenntnissen ganz zu schweigen. Darum sucht  Folk er Folk nun Jobs, zum Beispiel in Gärten von Privatleuten oder beim Beeren pflücken im Wald, stellt die Roma dafür ein und garantiert den Auftraggebern für die Qualität der Arbeit. Einige haben so zumindest schon Gelegenheitsjobs gefunden.

Mariana, eine ehemalige Bettlerin, kann ihr Glück kaum fassen. Die kleine schmächtige Frau sitzt in einer Osloer Wohnung und strahlt. Weil ihr Mann krank wurde muss sie nun für ihn und die beiden Kinder sorgen. In Rumänien hat sie keinen Job gefunden. So machte sie sich

Roma-Demonstration
Roma demonstrieren für Arbeit und Anerkennung in Oslo

alleine auf die weite Reise nach Oslo, lebte einige Jahre lang vom Betteln, übernachtete unter Brücken und in Parks. Gefühlt hat sie sich dabei „wie ein Hund, den niemand haben will“. Meist saß sie mit ihrem Pappbecher auf den Stufen einer Kirche am Stadtrand.

Die Kirchgänger gingen achtlos an ihr vorbei. Vibeke, eine Diakonin, bat sie herein. Mit Händen und Füßen verständigten sich die beiden und freundeten sich an. Inzwischen putzt Mariana bei Vikibeke und ihrem deutschen Ehemann Till sowie bei einigen ihrer Freunde die Wohnungen. Als Minijobberin bekam sie, wovon so viele der Bettler träumen: Eine norwegische Versicherungsnummer und inzwischen auch eine eigene Wohnung.

Anfangs, erzählt Vibeke, war auch sie unsicher. In der Kirche oder in der Wohnung hätte Mariana einiges klauen können. Doch als sie beim Putzen zufällig 100 Kronen (rund 13 Euro) fand, gab sie Viebeke den Schein in die Hand. Als die größte norwegische Zeitung ihre Leser fragte, was sei in Oslo am meisten störe, nannten die meisten „die Bettler“ und „den Müll“. Die Leute, meint Viebeke, seien verunsichert, „Die sind es nicht gewöhnt, dass jemand durch Norwegens dichtes soziales Netz fallen kann.“

Info:

  • Visit Oslo Touristinfo Tel. +47.81530555, www.visitoslo.com

    Stadtmagazin mit Veranstaltungskalender: https://www.osloby.no (norwegisch, aber mit etwas Phantasie kann man es lesen, das O mit einem Strich, z.B.  in Schrøder ist ein „ö“)

    Anreise:

    Flug:

    Die meisten Billigflieger wie Ryanair landen in Torp oder Ryyge, jeweils rund 100 Kilometer außerhalb von Oslo. Mit dem Zug dauert die Fahrt von Torp nach Oslo Hauptbahnhof rund anderthalb Stunden Zug (Ticketpreis: 245 Kronen)

    Fähre:

    Die Fähren der Colorline verbinden täglich Kiel mit Oslo. Abfahrt ist um 14 Uhr, Ankunft am nächsten Tag um 10 Uhr. https://colorline.de

    Bahn:

    Anreise über Dänemark und Schweden (Westküste)

    Spartipps: https://www.visitoslo.com/de/ihr-oslo/billig-in-oslo/

    Radfahren:

    Vikingbike (Nedere Slottgate 4, https://vikingbikingoslo.com) vermietet Fahrräder für 125 Kronen am Tag (über Nacht: 200). Hier starten auf täglich um 13 Uhr die dreistündigen Stadtentdeckungstouren des Inhabers Curtis (250 Kronen).

    Verkehrsmittel:

    Oslo hat ein dichtes zuverlässiges, aber unübersichtliches Bus- und Tramnetz. Außerdem gibt es einige U-Bahn-Linien. https://ruter.no/en/

    Wer länger bleibt, kauft am besten den 24- oder 72-Stunden Visit-Oslo-Pass in der Tourist-Information oder über https://www.visitoslo.com/de/ mit freiem Einritt in alle Museen und Schwimmbäder, kostenlose Teilnahme an offiziellen Stadtführungen und Rabatten in einigen Restaurants.

    Ausgehen:

    Veranstaltungskalender:

    https://www.visitoslo.com/en/your-oslo/on-a-budget/events/

    Oslo ist einer der Hotspots für Clubs und Festivals, vor allem in der Elektro-Szene, ein Beispiel: https://matchandfuse.no

    Museen:

    Munch Museum: Ein Museum eigens für den berühmtesten Maler Norwegens („Der Schrei“) mit der weltgrößten Sammlung seiner Werke www.munch.museum.no

    Friedenszentrum (neben dem Rathaus): erzählt die Geschichte der www.nobelpeacecenter.org

    Jüdisches Museum: Die Geschichte des jüdischen Lebens in Oslo, Krieg, Holocaust und Widerstand anhand einzelner Schicksale inklusive und dazu eine Ausstellung, die die jüdischen Feiertage durch das Jahr erklärt https://jodiskmuseumoslo.no

    Museumsinsel Bygdöy

    Für den Besuch der weitläufigen, grünen Halbinsel mit ihren Stränden, Villen, Wäldern, Wanderwegen und Museen lohnt es sich, einen ganzen Tag einzuplanen. Von der Innenstadt fahren regelmäßig Busse (Linie 30) und im Halbstundentakt Fähren vom Rathausplatz.

    Fram Museum: Das Expeditionsschiff Fram im Original mit der Geschichte der Polarexpeditionen vor gut 100 Jahren www.frammuseum.no

    Kon-Tiki Museum: Hier liegt die Kon Tiki des norwegischen Forschers Thor Hayerdal im Original, dazu viele Dokumente und Erklärungen zu seiner Pazifiküberquerung von 1947 www.kon-tiki.no

    Folkemuseum: Freilichtmuseum mit Häusern, Dörfern und einer Stabkirche aus ganz Norwegen sowie einer kompletten historischen Kleinstadt, https://www.norskfolkemuseum.no

    Wikingerschiffe: Museum mit zwei 1000 Jahre alten Vikingerschiffen im Original https://www.khm.uio.no/besok-oss/vikingskipshuset/

    Holmenkollen:

    An der neuen Holmenkollen-Ski-Sprungschanze (mit der U-Bahn gut zu erreichen) erzählt das Skimuseum die Geschichte des in Norwegen beliebtesten Sports, www.holmenkollen.com mit Simulator zum selber ausprobieren.

    Festung mit Widerstandsmuseum:

    Im Keller des ehemaligen Hauptquartiers der Nazibesatzer (1940 – 45) auf der Festung Akerhus erzählt das Hjemmefront (Heimatfront)-Museum www.forsvaretsmuseer.no in einer beklemmenden Atmosphäre die Geschichte des norwegischen Widerstands. Die Festung selbst, einst Keimzelle der Stadt Oslo, liegt heute in einem weitläufigen Park. Von den Festungsmauern hat man einen guten Blick auf den alten Hafen und die Skyline der Innenstadt.

    Vigelandspark: Ein Park voller Figuren des Bildhauers Gustav Vigeland, die alle Gefühle des Lebens zeigen.

    Neue Oper (eröffnet 2008): komplett in weiß als bis aufs Dach begehbares Gesamtkunstwerk

    Auf dem Gelände der stillgelegten Akerwerften gleich hinter dem Rathaus sind in den letzten Jahren die komplett neuen Stadtteile Akerbrygge und Tjuvholmen entstanden. 2012 eröffnete hier das nach Plänen von Renzo Piano gebaute Astrup Fearnley Museum für Gegenwartskunst www.afmuseet.no – wohl das einzige Museum mit eigenem Badestrand und einem Kanal, in dem die Besucher zwischen Kunstwerken umherschwimmen können.

    Winter:

    Schigebiete beginnen nur 15 Minuten U-Bahn-Minuten vom Zentrum entfernt.

    Vinterpark Tryvann: www.oslovinterpark.no

    (geführte) Winterspaziergänge: www.osloguide.no

    Übernachten:

    Hostel:

    Nicht schön aber verhältnismäßig günstig: Anker Hostel rund 35 Euro im Achtbettzimmer oder Cochs Pensionat www.cochspensionat.no

    Hotels:

    Sonderangebote finden sich oft über Online-Buchungsmaschinen wie www.hotel.de, www.hrs.com.

    Ferienhütten auf dem Lande:

    https://www.inatur.no/

    Wohnungsbörse: www.finn.no

    Fernbusse und Bahn:

    Viele Busgesellschaften haben Sonderpreise für Studierende und die Tickets sind günstiger, wenn man sie vorab im Internet bucht. haukeliekspressen.no, nettbuss.no (buss4you), safflebussen.se, lavprisekspressen.no.

    Norwegische Staatsbahn: www.nsb.no,

    Lesen:

    Die deutsch-norwegische Schriftstellerin, Journalistin und Übersetzerin Ebba Drolshagen liefert mit ihrer „Gebrauchsanweisung für Norwegen“ einen faktenreichen und einfühlsamen Einstieg in die Begegnung mit Land und Leuten https://www.ebba-drolshagen.de

Von Robert B Fishman

freier Journalist, Autor (Hörfunk und Print), Fotograf, Moderator, Reiseleiter und mehr

Eine Antwort auf „Stadt der Gegensätze: Meine Reportage aus Oslo“

..so viel Leben hinter solch “imposanten” Fassaden..
wundervolle, vielsagende Reportage – und wieder einmal .. Dein Blick auf’s Wesentliche!
Danke sehr für’s Entdecken!

Club Hausmania.. sieht einladend lebendig aus!
s.

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