Zuletzt aktualisiert am 7. Juli 2017 um 0:15
meine Reportage im Deutschlandfunk
Kosice. In den slowakischen Medien kommen Roma vor allem als Problem vor: Arm, ungebildet, kriminell und nicht integrationsfähig.
Im ostslowakischen Kosice hatten einige Journalistinnen und Journalisten die Nase davon voll: Um differenzierte Geschichten von und über Roma zu erzählen gründeten sie vor zwölf Jahren die Roma-Medienagentur MECEM. Inzwischen produziert MECEM ein eigenes Radioprogramm, Fernsehsendungen, eine Internetseite und eine eigene Zeitung. Damit informieren sie mit wachsendem Erfolg differenziert über den Alltag und die Kultur der Roma-Minderheit.
Junge Roma lernen bei MECEM das Journalistenhandwerk in der Praxis. Inzwischen sind vier der fünf festen Reporter/innen und Redakteure bei MECEM Roma. „Die leisten gute Arbeit“, freut sich Vaňova. So hat die Roma- Presse- und Medienagentur MECEM schon einige Preise gewonnen – zuletzt den der österreichischen Erste Bank Stiftung für soziale Integration und eine Auszeichnung des slowakischen Kulturministers.
Im Osten der Slowakei leben die meisten Roma in bitterer Armut: In ihren selbstgezimmerten Siedlungen am Rande der Dörfer haben nur die wenigsten Strom oder fließendes Wasser. Arbeit findet kaum einer von ihnen. Manche Siedlung meldet eine Arbeitslosenquote von 100 Prozent. Die wenigen Jobs in der strukturschwachen Region gehen an „weiße“ Slowaken. Die „Zigeuner“ heißt es, seien ohnehin zu faul zum Arbeiten.
Viele Lehrer schicken Roma-Kinder auf die Sonderschule, wo sie unter ihresgleichen bleiben. Weiterführende Schulen in der Kreisstadt sind für die meisten unerreichbar, weil ihre Familien die Fahrkarten für den Bus nicht bezahlen können. Seit Generationen bleiben Roma so in einem Teufelskreis aus Armut und fehlender Bildung gefangen.
Hinzu kommt, dass immer noch sehr viele Familien sechs, acht oder mehr Kinder haben. Die Älteren müssen sich schon mit zehn oder zwölf um die kleinen Geschwister kümmern. Mit 15 oder 16 sind schon viele verheiratet und bekommen selbst ihr erstes Kind. Fürs Lernen bleibt da wenig Zeit.
Die Konflikte zwischen Roma und Nicht-Roma um Kleinkriminalität, Schmutz, Nachbarschaftsstreitigkeiten und die angeblich nicht miteinander verträglichen Kulturen sieht MECEM Chefredakteurin Jarmila Vaňová nicht als Probleme zwischen Volksgruppen: „Es ist die Armut, die die Probleme schafft.“
Seit Jahrzehnten wenn nicht Jahrhunderten hören die Roma, dass sie minderwertig seien. Die Nazis ermordeten mit Hilfe vieler Slowaken, Ungarn und anderer Osteuropäer rund eine halbe Million „Zigeuner“ in den Konzentrationslagern. Ihre Sprache, das Romanes, war sogar noch zu Ostblock-Zeiten verboten. Die Menschen wurden so – wie die Indianer in Amerika und viele andere Minderheiten weltweit – entwertet, entwurzelt und ihrer Identität beraubt.
Auf ihre Kultur und ihre Wurzeln ist Vaňová dennoch stolz: In den großen Roma-Familien helfe man sich gegenseitig, achte vor allem die Älteren und die Mütter. „Wir teilen in der Not auch unser letztes Brot miteinander.“ Ihre beiden Identitäten als Slowakin und Roma erlebt die Journalistin als Bereicherung.
Erst allmählich besinnen sich zumindest die Gebildeteren unter ihnen auf ihre kulturellen Wurzeln: Viele junge Roma wollen wieder Romanes, die Sprache ihrer Vorfahren lernen. In Kosice ist Mitte Mai das erste slowakisch-romanes-Wörterbuch erschienen. MECEM sendet sein Programm auch auf Romanes.
Wie nötig diese Arbeit weiterhin ist, zeigen schon ein paar einfache Zahlen: Obwohl nach Schätzungen fast zehn Prozent der slowakischen Bevölkerung Roma sind, sitzt nur einer von ihnen im Parlament. Selbst dort dürfen Abgeordnete ungestraft gegen die Minderheit hetzen: „Aktiv sind die Roma nur, wenn sie Kinder machen und da sind sie sehr aktiv“, zitiert MECEM einen nationalistischen slowakischen Politiker.
„Die Journalisten schreiben das, was die Mehrheitsgesellschaft erwartet“, kritisiert Jarmila Vaňová. In vielen Beiträgen würden Ereignisse an der Volkszugehörigkeit der Beteiligten festgemacht. So bleibe die Individualität der Menschen auf der Strecke.
Auch viele westliche Reporter behandelten Roma wie Statisten der Vorurteile. Die MECEM-Chefin erzählt von einem britischen Kamerateam, das eine Romafamilie dafür bezahlte, dass sie den Stoff für eine Horrorgeschichte lieferten: Mitglieder der Familie sollten sich auf „gepackte Koffer“ setzen und auf Kosten des Senders nach England fliegen, um die Bilder für die angebliche Invasion der „Zigeuner“ ins britische Sozialsystem zu liefern. Immerhin hat MECEM durchgesetzt, dass der Fake-Beitrag nicht ausgestrahlt wurde. Ein Zeitungsartikel ähnlicher Machart erschien dennoch. Die Leute von MECEM recherchierten nach und stellten den Vergleich zwischen Artikel und Wirklichkeit ins Netz. „Weil uns die Reporter mit teuren Schadenersatzklagen gedroht haben, mussten wir die englische Version unserer Gegenüberstellung von Netz nehmen“, berichtet Vaňová.
Auch die falsche Geschichte von einer slowakischen Romasiedlung, die angeblich geschlossen in den Westen auswandern wollte, verbreitete sich in ganz Europa. Die Journalistinnen und Journalisten von MECEM fanden heraus, dass die Siedlung nur 1100 und nicht wie behauptet 2000 Einwohner hatte und dass nicht alle sondern nur etwa 100 Bewohnerinnen und Bewohner ausgewandert sind – verteilt über zehn Jahre.
Noch wilder trieb es Anfang 2012 die Schweizer „Weltwoche“: Über die Agentur Life kaufte die Redaktion das Foto eines Roma-Jungen im Kosovo, der mit einer Spielzeugpistole auf den Fotografen zielt. Darunter stand: „Die Roma kommen: Raubzüge in der Schweiz. Familienbetriebe des Verbrechens“.
Doch schon die Summe vieler kleiner Fälschungen verzerren das Bild der Roma. Oft bezahlten Journalisten Roma für das von ihnen gewünschte Verhalten, um sie dabei dann zu filmen oder zu fotografieren: Reporter geben ihnen Geld für ordinäres Fluchen oder dafür, dass sie Müll aus dem Fenster werfen.
Um solchen Auswüchsen entgegen zu wirken unterstützt MECEM auch Kolleginnen und Kollegen, die über die Roma berichten wollen. Chefredakteurin Vaňová erinnert sich noch gut an eine deutsche Journalistin, die einen Tag vor Weihnachten für nur eine Stunde eine Roma-Siedlung besuchen wollte, um dann für die Feiertage mit ihrer Familie in die Berge zu verschwinden. Die „Kollegin“ hatte MECEM gebeten, den Besuch entsprechend vorzubereiten. Jarmila Vanová sagte ab.
Skeptisch sieht die Chefredakteurin auch die vielen gut meinenden Journalistinnen und Journalisten, die über die vermeintliche oder tatsächliche Not der Roma berichten und sie damit in die reine Opferrolle drängen. Die Informationen für diese diese Berichte und Reportagen kämen häufig nur von Menschenrechtsorganisationen, die damit oft eigene Interessen verfolgten. Schließlich lebten sie davon, dass neue „Hilfsprogramme“ aufgelegt werden. So hätte eine tschechische Organisation vermutlich Berichte über einen angeblichen Ansturm von Roma-Asylbewerbern aus der Slowakei lanciert, um an Geld für die Betreuung der angeblichen Flüchtlinge zu kommen. „Kurz nachdem wir diesen Verdacht veröffentlicht hatten, hörte diese Kampagne sofort auf“, berichtet Vaňová. Sie beklagt, dass zu viele Journalisten zu wenig über die Roma wüssten und mangels Zeit für gründliche Recherche bewusst oder unbewusst falsche Informationen weitertragen: „Ein Journalist, der ein realistisches Bild der Wirklichkeit liefern will, muss zumindest einen Teil seiner Geschichte selbst durchlebt haben.“
Nicht nur deshalb wünscht sich Vaňová von den Kolleginnen und Kollegen, dass sie genauer hinsehen und kritisch nachfragen. Sie erinnert sich noch gut an ein oft gelobtes Projekt der Europäischen Union: Die EU hatte 200.000 Euro in ein Arbeitsmarktprogramm für Roma investiert. Teil der Qualifizierung war ein zweiwöchiger Computerkurs. Einziges Ergebnis: „Viele positive Medienberichte.“ Den Arbeitslosen habe der Kurs nicht viel gebracht, weil sie anschließend keinen Zugang mehr zu Computern hatten. Niemand in den abgelegenen Siedlungen könne sich einen Rechner leisten.
Mit ihren Beiträgen und Sendungen will MECEM mit einem differenzierten Bild der Roma gegen die Vorurteile wirken. „Aber das ist ein sehr, sehr langer Prozess.“