Zuletzt aktualisiert am 5. März 2019 um 10:09
Wie eine Behörde den Traum einer Zukunft zerstört
Als Reiseblogger und -Journalisten schreiben wir über entspannte Reisen, inspirierende Begegnungen, Entdeckungen in fernen Länder und anderen Luxus, der nur sehr wenigen Menschen auf der Welt vergönnt ist. Diese Geschichte erzählt von einer ganz anderen, unfreiwilligen Reise.
Seit 2016 kümmere ich mich um ein paar Geflüchtete, die hier gestrandet sind. Einer von ihnen war heute zur Ausländerbehörde bestellt. Frau N., freundlich, höchstens Ende 20, dem Namen nach orientalischen Ursprungs, lange schwarze Haare, große braune Augen, eröffnet S., dass er keine Zukunft in Deutschland habe. „Es sei doch nicht ihre Entscheidung. Sie müsse vollziehen, was das Bundesamt entscheidet“, versucht sie sich zu entschuldigen. Mit Leuten, die „nur Anweisungen befolgen“ ohne das eigene Gewissen zu befragen, haben wir in Deutschland Erfahrung. Wieder ärgere ich mich, dass mir die entscheidenden Fragen zu spät einfallen.
*** Die Leistung wird eingestellt ***
Vor dem Termin in der Ausländerbehörde holt S. noch den Bescheid des Sozialamtes der Stadt, Abteilung Sozialhilfe /AsylbLG aus seiner Umhängetasche. *** Die Leistung wird eingestellt ***, heißt es darin ohne Begründung, ohne Kommentar. Darunter die Rechtsbehelfsbelehrung: Man könne beim Oberbürgermeister schriftlich oder zur Niederschrift Widerspruch erheben. Es folgt der Hinweis, dass der Bescheid maschinell erstellt wurde und keiner Unterschrift bedarf, und die letzte Zeile: – Ende des Schreibens -.
S. drückte mir das Schreiben in die Hand, in seinem Blick eine Mischung aus Ärger und Resignation. Er hofft auf eine Erklärung. In den letzten Monaten war er immer wieder auf dem Sozialamt, sollte irgendwelche Papiere vorlegen. Er hat nie verstanden, warum er mal Geld erhielt und mal nicht und warum ihm das Amt die Zahlungen nach dem Asylbewerber-Leistungsgesetz immer weiter gekürzt hat.
Das Bundesamt für Migration, kurz BAMF, hatte seinen Asylantrag abgelehnt, den ersten Folgeantrag auch, den zweiten auch. Er habe seine Verfolgung nicht hinreichend belegt. Wahrscheinlich wollen die die Quittung der Schläger sehen, die ihm seinerzeit die Narben. geschlagen haben, die er mir zeigt. Er sei Journalist, sagt er, habe Artikel veröffentlicht, die dem Regime dort nicht passen. Deshalb habe man ihn zusammengeschlagen und immer wieder bedroht. Die Artikel zeigt er mir im Netz. Auf Urdu, der Landessprache in Pakistan, sieht aus wie Arabisch.
S. will kein Geld vom Sozialamt
S. will kein Geld vom Sozialamt. Er will arbeiten. Einen Job hat er gefunden: in einem Restaurant. Der Inhaber, ein Inder, wolle ihn als Koch einstellen. „Ich koche so gut. Da wird er staunen“, hat er mir vorgeschwärmt, als das Angebot kam. Ein Job in der Küche des „Erzfeinds“, wo doch gerade der Krieg zwischen Indien und Pakistan wieder losgeht.
Ungezählte Male war er beim Ausländeramt, um eine Arbeitsgenehmigung dafür zu bekommen. „Sie sind ausreisepflichtig“ hieß es dort und er solle unterschreiben, dass er Deutschland freiwillig verlassen werde. Nach vielen Telefonaten fanden wir schließlich eine Anwältin, die sich seines Falles annahm, gegen Vorkasse. Geld hat er nicht. Ich habe es ihm geliehen.
Die Anwältin hat Klage eingereicht, gegen den Ablehnungsbescheid des Bundesamtes. Die liegt immer noch beim Verwaltungsgericht. Und sie hat versucht, mit Frau N. zu verhandeln. Ja, S. sei grundsätzlich bereit, einer freiwilligen Ausreise zuzustimmen, wenn er eine Arbeitserlaubnis erhalte. S. war so zuversichtlich, immer höflich. „How are you Sir“, begann er jedes Telefonat. Thank you Sir“, sagte er zum Abschied in fehlerfreiem, weichen Englisch mit leichtem pakistanischen Akzent. Er war sich so sicher, dass ihm die Botschaft keine Reisepapiere ausstellen werde. Sein Cousin arbeite in der Botschaft – oder im Außenministerium, so genau habe ich das nicht verstanden. Der werde „dafür sorgen, dass sie keine Papiere für mich bekommen“.
Heute haben sie sie, Passersatz und Flugticket. S. Gesicht erstarrt, als ihm die junge Mitarbeiterin des Amtes eröffnet, dass man ihn gleich zum Flughafen fahren werde. Und, ja, ich dürfe die Anwältin anrufen und um Rat fragen. „Machen Sie das bitte draußen“, sagt Frau N., während sie S. zum „Sicherheits-check“ gleitet. Die Anwältin sieht keine Chance mehr. Als ich das Telefon einstecke, erscheinen drei kräftige Männer, Typ Türsteher. „Ausländerbehörde“ steht in großen weißen Buchstaben auf ihren blauen Uniformjacken. Sie bringen S. zu einem Bulli mit getönten Scheiben. Einer geht links von ihm einer rechts, führen ihn freundlich bestimmt, halten ihn mit ihren blauen Kunststoffhandschuhen am Arm. Routine. „Wir fahren jetzt zu seiner Wohnung“, erklärt die Behördenmitarbeiterin. „Dort kann er seine Sachen holen.“ S. bittet mich, mitzukommen. Nein, mitnehmen dürfe sie mich nicht in ihrem Bulli. So verabschieden wir uns kurz. Er vergräbt sein Gesicht in den Händen, schweigt. Hinter den getönten Scheiben sehe ich nur seine Silhouette, winkend. Es dauert eine Weile bis sie losfahren.
Verstecken.
Ein Freund, dem ich gestern von der drohenden Abschiebung erzählt habe, antwortete nur mit einem Wort: „Verstecken.“ Und dann? Bei mir würden sie S. schnell finden. Leben in einem Versteck, ohne Perspektive, immer auf der Flucht, keine Chance auf ein Leben in Würde, einen Beruf, ein Einkommen. Ich denke an die vielen Geschichten der Menschen, die den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust in den Verstecken mutiger Mitmenschen überlebt haben. Das war etwas anderes. Natürlich. Niemand will S. in ein Vernichtungslager deportieren und ermorden.
Zum Nichtstun gezwungen
Je länger ich hier lebe und je mehr ich mich mit diesem Land beschäftige, desto weniger verstehe ich es. Ein Verwaltungsgericht entscheidet, dass ein Hassprediger und „Gefährder“ aus Tunesien zurück geholt werden muss, weil ihm dort Folter drohe. S. predigt keinen Hass, hat keine Straftaten begangen, will hier nur leben und seinen Lebensunterhalt aus einem Job bestreiten, den er schon gefunden hat. Die Unternehmen suchen junge Mitarbeiter. Und die, die da sind und die Arbeit machen wollen, werden in die Sozialhilfe gezwungen und dann abgeschoben. Rechnen kann sich das nicht. Abschrecken wird es auch niemanden. Wo die Not groß genug ist, werden sich die Menschen auf den Weg nach Europa machen, egal wie viele wieder zurück geschickt werden oder im Mittelmeer ertrinken. Aber darauf kommt es anscheinend nicht an. Jeden Tag berichten die Medien von kriminellen Zuwanderern, die Deutschland nicht abschieben kann. Sind die geschickter? Oder setzt der Staat falsche Prioritäten. Wohl beides.
Den Rest des Tages fühle ich mich wie erstarrt, überlege, was ich noch hätte unternehmen können. Ihn doch irgendwo verstecken. Ich werde demütiger gegenüber all dem Luxus, den wir hier haben: Eine Stadt, in der ich mich frei und sicher bewegen kann, genug von allem und mehr.
Während ich diesen Text schreibe, sitzt er schon im Flugzeug. Nicht nur sein „Good Morning Sir, how are you“ und seine immer gute Laune werde ich vermissen. Meine letzte SMS hat er nicht mehr beantwortet.
Update: Die Rückkehr
2. März. Mein Handy klingelt: „Good Afternoon Sir. This is S. I’m here again. Will you pay me a beer?“ Der Rest: unverständlich wegen der schlechten Verbindung. S ist wieder da. Wir treffen uns in der Stadt. Mit drei Mann Begleitung hat ihn die Ausländerbehörde am 28.2. nach Frankfurt zum Flughafen gekarrt. Der Flug startete nicht. Wie den ganzen Tag über schon in den Nachrichten gemeldet, ist der pakistanische Luftraum wegen des Kleinkriegs mit Indien gesperrt. Frau N. in der Ausländerbehörde hatte ich das schon bei unserem Gespräch am Donnerstag gesagt. Sie haben S. zurück in seine Wohnung gebracht. Am Freitag, 8.3. solle er sich zum nächsten Abschiebeversuch wieder im Ausländeramt einfinden. S. zeigt mir ein Schreiben der Ausländerbehörde vom 1. März an das Pakistanische Generalkonsulat. Darin fordert Frau N. Reisepapiere für S. an. Die Abschiebung tags zuvor begründete sie mit dem Hinweis, sie habe bereits alle erforderlichen Papiere. Sehr seltsam, wie das Amt mit dem Geld der Steuerzahler wirtschaftet.
S. ist wie ausgewechselt: aufgekratzt, euphorisch. Er habe Freunde in einem anderen europäischen Land, werde jetzt dort hin verschwinden. Gott habe ihn gerettet. Nach der gescheiterten Abschiebung sei er Gott näher denn je, freut er sich und greift zum zweiten Bier. Ja, das sei haram, verboten, aber es schade doch nur ihm selbst. Da dürfe er ausnahmsweise sündigen.
Wir bleiben auf facebook in Kontakt. Sein Profil dort, das ich vorher nie gesehen habe, macht mir Sorgen: Finster drein blickende Imame, das Logo des Pakistanischen Geheimdienstes („They are so strong. I love them. They protect us“), als Profilbild das Foto eines Wolfsgesichts. S. im Untergrund, ohne Hoffnung und Perspektive – leichte Beute für fanatische Islamisten. Ich hoffe, er findet einen anderen Weg. Sein Glaube könnte ihm helfen – und vielleicht die ein oder andere gute Erfahrung, die er in Deutschland gemacht hat. Alles Gute S. Good Luck!