Bielefeld im März 2020. Seltsam ist sie geworden, die Welt da draußen. Fremd. Eine eigenartige Ruhe dämpft die sonst so lauten, geschäftigen Straßen. Der Verkehr ist ruhiger. „Keine Meldungen“, verkündet WDR5 anstatt der sonst um diese Zeit mehrere Minuten langen Staudurchsagen. Die Menschen scheinen sich umsichtiger zu bewegen, die Autos auch. Gedämpft. Die Stimmung erinnert mich an den Frühling 1986. Auch damals lag eine Ahnung in der Luft. Der Fallout des Atomkraftwerk Tschernobyl. Kaum denke ich daran, kommt der aktuelle Newsletter der Süddeutschen Zeitung:
In den Tagen und Wochen nach dem Unglück legte sich eine ähnliche bleierne Besorgnis über die Bevölkerung wie heute. Vieles war schlagartig anders, vieles aber auch nicht. Menschen bunkerten konservierte Lebensmittel, weil man nicht wusste, ob es noch unverstrahlte Ware geben würde. Andere machten Frühlingswanderungen in den Bergen. Auf den Grünflächen vor meiner Universität standen plötzlich kleine, eilig gebastelte Schildchen, wonach man auf dem Rasen nicht mehr sitzen solle, wegen der Strahlung. Doch Hunderte Studenten taten genau das. Sie saßen dort in der Aprilsonne und aßen ihr Pausebrot.
Genau so ist es.
Stille Stadt, verunsicherte Menschen
Nach acht Tagen zuhause habe ich erstmals wieder auf den Weg durch die Stadt gemacht – um Menschen Lebensmittelpakete der Coronahilfe Bielefeld zu bringen. Die Tafeln haben ihren Dienst eingestellt. Doch die Bedürftigen sind noch da. Ich bin froh, dass ich etwas tun kann. Helfen tut gut und lehrt mich – Demut zum Beispiel. Ihr Lager hat die Coronahilfe am anderen Ende der Stadt aufgeschlagen. Doch viele Pakete sind an Menschen in meiner Nachbarschaft adressiert.
Bisher dachte ich, dass in dieser relativ wohlhabenden Gegend niemand Hilfe der Tafel benötige. Unterwegs begegnete ich einem jungen Mann, der im Rollstuhl lebt, einer Zuwanderin, die nur wenig deutsch spricht und selbst kein Telefon hat und einer jungen Frau, die sich die Wohnung in einem 60er Jahre Haus zwischen schicken Neubauten mit einer Mitbewohnerin teilt. Mit krakeliger Schrift notierte sie ihre Telefonnummer auf dem Adresszettel. Danke für die freudigen Blicke und Gesten dieser Menschen.
Reisen zu Fuß in den Wald
Reisen hat eine völlig neue Bedeutung bekommen. Normalerweise wäre ich diese Woche für eine Reportage in Galway, Irland, der aktuellen Europäischen Kulturhauptstadt. Die Iren haben die Reise abgesagt, ebenso die Serben meine Recherchereise nach Novi Sad im April. Die ITB ist ausgefallen, ebenso das Berlin Travel Festival, die LiMA vorerst auf September verschoben. Auf beiden sollte ich Workshops geben. Für geplante Radiosendungen fehlen mir die Gesprächspartner*innen. Im Mai solle ich mich wieder melden – oder noch später. Niemand weiß, wann die so genannte Normalität zurückkehren wird. Und was ist normal? Die Erde war schon lange von unserem ach so wichtigen Rennen, Machen und Tun überlastet. Der Earth Overshoot Day (Welterschöpfungstag), an dem wir die Ressourcen für 2019 in Deutschland verbraucht hatten, war vergangenes Jahr schon auf den 3. Mai vorgerückt.
Jetzt bleiben die Flieger am Boden und die Menschen zu Hause. Luft und Wasser werden sauberer. 2020 erreicht Deutschland seine schon aufgegebenen „Klimaziele“. Ein Virus schafft, was Fridays for Future und all die Klimaschutz-Proteste nich erreicht haben: Die Welt hält inne. Die Wirtschaftsforscher rechnen allein in Deutschland mit einem Schaden von bis zu einer Billion Euro. Auf youtube und in den „sozialen Netzwerken“ lese ich immer häufiger Kritik am Shut Down des Landes: manches klingt schlüssig, anderes nach wirrer Verschwörungstheorie. Ich reise im Netz oder zu Fuß in den TeutoburgerWald, erlebe den beginnenden Frühling hier intensiver denn je.