Kategorien
Deutschland Fotos, Texte & Themen soscheescho. der reiseblog

Ein Fotoworkshop in der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen: Zeitreise ins immer noch Unvorstellbare

Bergen-Belsen. Aus neblig-grauer flacher Heidelandschaft wachsen vom Wind gekrümmte Birken, die ihre zartgrünen Frühlingsblätter zeigen. Dazwischen verlaufen mit Waschbetonplatten gepflasterte Wege. Stelen mit Schwarz-Weiß-Fotos von 1945 erinnern am Orignalschauplatz daran, was hier vor nicht einmal 75 Jahren passierte. Versteckt in der ruhigen Weite liegen symmetrisch angelegte, rund 1,50 Meter hohe Hügel mit verwitterten, steinernen Inschriften: „Hier ruhen 2500 Tote“ informiert der in eine der Mauern gemeißelte Text, „2000 Tote“ ein anderer. Nach der Befreiung haben britische Soldaten die Leichen in Massengräbern beerdigt. Sie wussten nicht, wohin mit den vielen Toten.

Zuletzt aktualisiert am 18. Januar 2018 um 19:25

Bergen-Belsen. Aus neblig-grauer flacher Heidelandschaft wachsen vom Wind gekrümmte Birken. Mit Waschbetonplatten gepflasterte Wege verlieren sich in der Weite. Stelen mit Schwarz-Weiß-Fotos von 1945 erinnern am Orignalschauplatz daran, was hier vor nicht einmal 75 Jahren passierte. Versteckt in der Stille liegen symmetrisch angelegte, rund 1,50 Meter hohe Hügel mit verwitterten, steinernen Inschriften: „Hier ruhen 2500 Tote“ informiert der in eine der Mauern gemeißelte Text, „2000 Tote“ ein anderer. Nach der Befreiung haben britische Soldaten die Leichen in Massengräbern beerdigt. Sie wussten nicht, wohin mit den vielen Toten.

 

israelische Grableuchte mit hebräischer Beschriftung auf Steinen der Ewigkeit auf einem Massengrab in der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen, , 7.5.2017, Foto: Robert B. Fishman

 

Bergen-Belsen fotografieren für die Erinnerung?

Für ein Frühlingswochenende im Mai hat die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten einen Fotoworkshop ausgeschrieben: drei Tage fotografieren auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen am Rande der Lüneburger Heide.

Lange habe ich mir überlegt, wie lange ich es in einer solchen Landschaft des Grauens aushalten würde – und mich schließlich dafür entschieden.

Informationsstelen mit Fotos aus 1945 vom jeweilihgen Schauplatz auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen, 7.5.2017, Foto: Robert B. Fishman

Andeutungen des Grauens im Park

Anders als in Dachau oder Buchenwald, wo noch viele Baracken und andere KZ-Bauten stehen, wirkt Bergen Belsen auf mich wie ein stilles, schleichendes Gift. Nach der Befreiung hat die britische Armee alle Bauten niedergebrannt, um Seuchen wie Typhus zu stoppen.

Die Spuren  liegen versteckt in der Landschaft: hier ein Gedenkstein, dort ein fast schon zugewachsenes Massengrab oder Steine, die vom Fundament einer Baracke übrig geblieben sind. Jugendliche haben 2007 während eines Workcamps auf dem Gelände Namen und Geburtsjahre von hier Gestorbenen in die verwitterten Backsteine graviert und diese zurück in die Landschaft gelegt. Sie wollten wenigstens einigen der zu Tode Gequälten ihre Namen zurückgeben. Nun liegen sie als Brocken der Erinnerung wie zufällig im Gras – berührender als jedes wuchtige Monument.

Waldlandschaft und Info-Ständer mit Fotos von Anne Frank spiegeln sich im Fenster des Dokumentationszentrums und Museums der Gedenkstätte Bergen-Belsen am Gelände des ehemaligen Konzetrationslagers , 7.5.2017, Foto: Robert B. Fishman

Auf dem Weg durch die Parklandschaft entdecken wir immer wieder solche der Natur überlassenen Erinnerungsstücke: ein in den Boden eingelassener Grabstein mit der verblassenden Inschrift „Ein unbekannter Toter“ oder ein verrostendes  Grablicht aus Israel, das der Wind von einem der Massengräber geweht hat. Angehörige haben über die Jahre zahlreiche Gedenksteine für einzelne Opfer aufgestellt.  Welkende Blumen, die Unbekannte dort niedergelegt haben, erinnern an die Vergänglichkeit.

Die meisten Besucher  gehen zum Gedenkstein, der an Anne Frank und ihre Schwester Margot erinnert.  Jugendliche, die das Tagebuch der Anne Frank gelesen haben, schießen Selfies vor dem Stein, der an das hier ermordete Mädchen erinnert. Zynisch oder der etwas hilflose Versuch, dem anonymen Horror ein Gesicht zu geben, es auf ein menschlicheres Maß zu reduzieren? Vielleicht.

zwei Besucherinnen gehen an einem jüdischen Gedenkstein auf dem gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen vorbei, , 7.5.2017, Foto: Robert B. Fishman

Mehr als Anne Frank

Auf dem Appellplatz liest eine Mitarbeiterin der Gedenkstätte aus dem Tagebuch eines Häftlings. Arne Moi berichtet in seinem Buch „Das Lager“ vom Ankunft der Häftlinge: „Viele von Ihnen waren über und über brandig. Ein Loch voller Fäulnis im Rücken, vielleicht entstanden durch das Liegen auf einem Nagel im Bahnwagen, mit zwei bleichen Rippen. Drinnen im Loch bewegte sich etwas hellrot mit dem Atem“. Er berichtet wie viele andere vom Sterben, vom Verhungern und wie sich die Todgeweihten auf Leichen legten, nur um sich vor Nässe, Frost und Exkrementen zu schützen. Im Dokumentationszentrum der Gedenkstätte laufen in Dauerschleife Interviews mit Überlebenden des Lagers und anderen Zeitzeugen. Glaskästen im Fussboden zeigen Fundstücke aus dem Lager: ein Stück Stacheldraht an den Resten eine Holzpfostens, ein rostiger Blechnapf, ein Fetzen Häftlingskleidung….

Ich habe einige Besucher mit der Kamera begleitet, um ihre Reaktionen auf das einzufangen, was sie auf dem Gelände sehen und erleben. Einige meiner Bilder stehen online auf meinem Fotoblog weltenbilder.

Führung einer Besuchergruppe auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen, 7.5.2017, Foto: Robert B. Fishman

Erschrocken bin ich selbst darüber, wie schnell mich nach den drei Tagen in Bergen-Belsen der Alltag wieder eingeholt hat. Die Erfahrung dort möchte ich dennoch nicht missen. Sie relativiert so vieles, was mir vorher so wichtig erschien.

Dokumentationszentrum und Museum der Gedenkstätte Bergen-Belsen am Gelände des ehemaligen Konzetrationslagers: Schatten von Bäumen auf der Betonwand, Symbolbild, 7.5.2017, Foto: Robert B. Fishman

Info:

Workshop-Leiter Mark Mühlhaus hat in einer Foto-Reportage die Spuren der Nazi-Verbrechen in Osteuropa dokumentiert. Eine seiner letzten Bilderstrecken zeigt das Leben der Flüchtlinge, die in Ruinen am Belgrader Hauptbahnhof gestrandet sind.

Eine Kollektivschuld sehe ich nicht, „aber etwas wie eine Kollektivscham ist aus dieser Zeit gewachsen und geblieben“, Theodor Heuss, Bundespräsident, 1952

junge Frau im Deutschland-Sweatshirt betrachtet das jüdische Mahnmal auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen Belsen , 7.5.2017, Foto: Robert B. Fishman

 

 

Waldlandschaft spiegelt sich im Fenster des Dokumentationszentrums und Museums der Gedenkstätte Bergen-Belsen am Gelände des ehemaligen Konzetrationslagers , 7.5.2017, Foto: Robert B. Fishman

 

Waldlandschaft spiegelt sich im Fenster des Dokumentationszentrums und Museums der Gedenkstätte Bergen-Belsen am Gelände des ehemaligen Konzetrationslagers. Der ins ehemalige KZ Gelände hineingebaute Teil des Gebäudes berührt den Boden nicht, weil das Lagergelände zum jüdischen Friedhof erklärt wurde, auf dem nicht gebaut werden darf, 7.5.2017, Foto: Robert B. Fishman

 

zwei Bundeswehrsoldaten auf dem Weg ins Dokumentationszentrum und Museum der Gedenkstätte Bergen-Belsen am Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers , 7.5.2017, Foto: Robert B. Fishman
Foto: Robert B. Fishman

 

English version and more pictures

 

 

 

 

 

MerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerken

Von Robert B Fishman

freier Journalist, Autor (Hörfunk und Print), Fotograf, Moderator, Reiseleiter und mehr

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*