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Cádiz: Die weisse Insel an der Küste des Lichts

Zuletzt aktualisiert am 31. Januar 2019 um 21:48

ältester Stadtteil Populo in Cádiz: Leute beim Essen im Straßencafé Alamar, 24.3.2017, Foto: Robert B. Fishman

Cádiz. Ein Meer weißer Dächer leuchtet im klaren Sonnenlicht vor dem tiefblauen Ozean. Die mit verglasten Balkonen geschmückten Fassaden der Kaufmannshäuser aus dem 18. Jahrhundert werfen ihre Schatten in die vom steten Seewind gekühlten Gassen. Jeder Weg führt nach wenigen Schritten ans Wasser. 

Auf den 129 Aussichtstürmen über den Dächern der Stadt warteten einst mit leuchtenden Augen die Händler auf die mit Silber, Gold und Erz beladenen Schiffe aus Amerika. Wer sie als erstes kontaktierte hatte Aussicht auf die besten Geschäfte. Die geraubten Schätze brachten den Reichtum in die lateinamerikanischste Stadt Europas. Die mächtige Kathedrale über der Seepromenade von Cadiz wies den Seeleuten den Weg. Die Silhouette erinnert an Kubas Hauptstadt Havanna. So drehten Filmemacher hier viele Streifen, die im vorrevolutionären Kuba spielen.

Über acht Kilometer zieht sich die Avenida Andalucía schnurgerade nach Nordwesten. In der Ferne verschwimmen die roten und grünen Lichtpunkte der Ampeln im Abendlicht. Am Ende der Seitenstraßen links und rechts der sechsspurigen Straße glitzert zwischen den einförmigen Wohn- und Bürowürfeln das Meer, die Bucht von Cadiz auf der einen, der offene Atlantik auf der anderen Seite.

Ich fühle mich auf dem falschen Weg in eine öde am Reissbrett geplante Stadt. Tage später erfahre ich, dass sie im wahren Cádiz, der Altstadt, die Bewohner dieser Ansammlung von Wohnkästen Beduinen nennen. Bis in die 60er Jahre trennten Sanddünen den historischen Stadtkern vom Festland. Die Reste einer Mauer beenden die unwirkliche Fahrt.

Das Tor der Erde

Hinter der Puerto de Tierra, dem Tor zum Land oder zur Erde, beginnt eine andere Welt. Rechts ragen Hafenkräne in den samtblauen Abendhimmel, links zweigen dunkle Gassen in ein mir geheimnisvoll erscheinendes, schummeriges Labyrinth. An der Plaza de España, einem begrünten, von reich verzierten, Kalksteinfassaden gesäumten Platz unter Palmen, weist ein gelbes Schild nach links zu meinem Hotel.

Dummerweise habe ich mir am Flughafen Jerez ein Auto gemietet, weil der letzte Zug nach Cádiz dort schon kurz nach meiner Landung abgefahren war. Ich folge dem Wegweiser in die Häuserschlucht. Eine Armlänge links und rechts der Autofenster ragen dunkle Wände in den Himmel. Die Läden schließen gerade. Die zwei, drei Meter hohen Fenster der verglasten Balkone reflektieren die letzten Sonnenstrahlen. Die Straßenlaternen tauchen die Gassen in ein fahles, gelbliches Licht. Eine ältere Dame drückt sich auf dem kaum einen Meter schmalen Bürgersteig an meinem Auto vorbei. Sie weist mir den Weg. An das singende Spanisch des Südens werde ich mich noch gewöhnen. Die Sprache scheint von Wort zu Wort, von Satz zu Satz zu hüpfen. Der weiche Cádizer Dialekt klingt mehr nach Kuba oder Südamerika als nach dem rauen Spanisch Kastiliens.

Panorama-Blick vom Torre Tavira über die Altstadt von Cádiz, 24.3.2017, Foto: Robert B. Fishman

Einst machten Gold, Silber und edle Hölzer aus Amerika Cádiz in weniger als 100 Jahren zu einer der reichsten Städte Europas. Im 18. Jahrhundert bauten Kaufleute, Händler, Reeder und Kolonisatoren auf der 30.000 Quadratmeter kleinen Landspitze zwischen der Bucht von Cádiz und dem Ozean Spaniens Brücke nach Amerika. Das Königreich hatte die Völker Süd- und Mittelamerikas unterworfen. Tausende Arbeitssklaven schleppten Tag und Nacht Gold, Silber Erze aus wackeligen Minen und Edelhölzer aus den Wäldern der „Neuen Welt“. Auf ihren dickbauchigen hölzernen Schiffen brachten die Kolonisatoren die Beute über den Ozean den Guadalquevir hinauf in Andalusiens Hauptstadt Sevilla.

Um all das Raubgut nach Europa zu schaffen bauten die Eroberer immer größere, tiefer gehende Frachter, die bald den seichten Fluss nicht mehr hinaufkamen. So erhielt das am Atlantik gelegene Cádiz mit seiner für einen Hafen idealen Bucht 1717 das Handelsmonopol mit Spanisch-Amerika.

Der Turm im Himmel

Um mir einen Überblick zu verschaffen erklimme ich die 173 Stufen des Torre Tavira, einen der 129 Aussichtstürme, auf denen einst die Kaufleute der Stadt nach den reich beladenen Schiffe aus Amerika Ausschau hielten. Oft machte der das beste Geschäft, der als erster zu den Kapitänen Kontakt aufnahm und die Ware in seine Lager lotste. Auf der Aussichtsterrasse des Turms flutet mir das helle, vom Meer und den weißen Häusern der Altstadt reflektierte  Licht in die Augen. Blinzelnd suche ich Orientierung: im Südosten die Kuppeln der mächtigen Kathedrale, die Kräne des Hafens in der Bucht von Cadiz mit ihren Sümpfen, Naturparks, Wohnsilos und verfallenden Industriebauten, überspannt von der 500 Millionen Euro teuren neuen Brücke, auf der nur Autos und Lastwagen fahren dürfen. Bahn und Radfahrer müssen den 25 Kilometer weiten Umweg um die Bucht nehmen.

Zu meinen Füßen liegt das Gewirr der schattigen Altstadtgassen im Schutz der gelblich-grauen Fassaden glasbalkongeschmückter Kaufmannshäuser. Fast alle tragen sie Dachterrassen, auf denen die Bewohner ihre Wäsche trocknen oder auf Liegestühlen die Frühlingssonne genießen. Manche haben sich mit Blick auf Stadt, Bucht und Ozean Freiluft-Wohnzimmer mit Esstisch und Grillplatz geschaffen.

Typisch sind die Innenhöfe, in die auch im Winter genug Licht fällt, um die hinteren Zimmer der Häuser zu beleuchten. Manche Hausbesitzer haben ihre Patios mit farbigen Glasdächern in einen zusätzlichen Wohnraum verwandelt. Darunter sammelten Zisternen das Wasser für die Bewohner.

Um mehr über die Stadt und ihre Menschen zu erfahren habe ich mich mit Antonio und Moisés verabredet, den beiden jungen Historikern, die ihre Doktorarbeit über ihre Heimatstadt schreiben. Mit einer Kollegin bieten sie Stadtführungen auf Wegen an, die die meisten Touristen nicht zu sehen bekommen. „Oft klingeln wir einfach bei Leuten“, berichtet Mit-Gründer Antonio de la Cruz. „Viele zeigen uns dann stolz ihren Innenhof und ihr Haus. Einige erzählen Geschichten der Gebäude und ihrer Bewohner.“

Soziale Stadtführung

Für ihre geführten Rundgänge bitten die drei Mitt-Dreißiger um Lebensmittelspenden, die sie an Armenküchen weitergeben. Im Schnitt bringe jeder Besucher ein Kilo Speisen und Getränke. In drei Jahren hätten sie auf ihren Rundgängen so schon fünf Tonnen Nahrung gesammelt.

Blick über den Strand La Caleta auf die Festung San Sebastian in Cádiz im Abendlicht, 24.3.2017, Foto: Robert B. Fishman

Bedürftige gibt es reichlich in Cádiz, einer der ärmsten Städte Spaniens. Seit die meisten Werften aufgegeben haben und der Hafen kaum noch Leute beschäftigt ist die Arbeitslosenquote auf mehr als 40 Prozent gestiegen. „Jobs gibt es fast nur noch in Dienstleistungsberufen, vor allem im Tourismus“, erzählt Moisés, der wie Antonio nach dem Studium keine Arbeit fand. Viele junge Leute gehen deswegen nach dem Studium ins Ausland oder schlagen sich als Aushilfen durch. Die meisten Gehälter reichen kaum zum Leben. 4 Euro 50 bekomme zum Beispiel ein guter Kellner die Stunde.

Moisés, Antonio und viele andere wollen sich trotzdem in Cádiz eine Zukunft schaffen. Ihre Stadtführungen bieten sie unter dem Titel Cuentame Cádiz, „Erzähl mir Cádiz“ ab diesem Jahr auf Spanisch, Englisch, Französisch und Deutsch zahlenden Touristen an. Auf unserem Weg durch das älteste Viertel Populo kommen wir an der alten Kathedrale, am Römischen Amphitheater und bei Antonio Gallardo vorbei. Der Wirt der Eckkneipe erinnert sich noch an die 60er und 70er Jahre, als das Quartier verfiel. Die Bewohner der um einen Innenhof gelegenen Wohnungen teilten sich Gemeinschaftsbad und -küche. Auf der Straße warteten Nutten auf Matrosen aus dem nahen Hafen. Dealer verkauften Drogen. Anwohner zogen in die komfortablere Neustadt. Andere blieben, organisierten sich in Nachbarschaftsvereinen, die nach den Tod des Diktators Franco 1975 und der Demokratisierung Spaniens für die Rettung des Viertels kämpften. Mütter patroullierten in den 80er Jahren durch die Gassen, um die Drogenhändler zu vertreiben.

„Viele wussten gar nicht, welche Schätze ihre Häuser bergen“, ergänzt Stadtführer Moisés und zeigt durch eine offene Tür in ein Patio: Marmorboden, ein Brunnen in der Mitte und drum herum mit schmiedeeisernen Gittern verzierte Galerien. Dunkle, schwere Holztüren führen in die einzelnen Wohnungen. Längst sind die meisten Altstadthäuser saniert.

Geblieben ist die Armut. Antonio zum Beispiel kann von seinem Café „gerade so leben“. Urlaub oder ein freies Wochenende kann er sich ebenso wenig leisten wie eine Krankheit. Der Wirt schwärmt vom Zusammenhalt in der Nachbarschaft. Die Leute unterstützen sich gegenseitig, heute weniger als früher, aber immer noch. „Die Laune lasse ich mir nicht verderben“, spricht’s und wendet sich wieder seinen Gästen zu.

Moisés und Antonio fragen mich, woher das Pflaster aus katzenkopfgroßen groben Steinen unter unseren Füßen stammt: Die Schiffe brachten es im 18. Jahrhundert aus Amerika mit. Unwuchten durch ungleichmäßig verteilte Ladung im Frachtraum füllten die Seeleute mit diesen Steinen, aus den die Cádizer später ihre Straßen bauten.

Die Neue Welt im Südwesten Europas

Ob Gummibäume, Yacarandas, eine wild lebende Papageienkolonie auf der Plaza de Mina oder Edelhölzer in vielen Kaufmannshäusern: Überall finden sich Spuren aus den Kolonien in der „lateinamerikanischsten Stadt Europas“. Das städtische Museum Casa de Iberoamerica zeigt in einem Militärgebäude aus dem 18. Jahrhundert ausschließlich Kunst aus Süd- und Mittelamerika.

Die beiden Geschichtswissenschaftler erklären mir an einem der vielen Beispiele den Aufbau der Händlerhäuser aus dem 18. Jahrhundert: Im Erdgeschoss wurden die Waren gelagert. Darüber gab es eine niedrige Etage für die Büros. Weil dort die Leute im Sitzen arbeiteten, konnte man an der Deckenhöhe sparen. Dann folgte die hohe, repräsentative Wohnetage und darüber die winzigen Räume für die Hausangestellten. Um die Wohnungen vor den ständigen Wind zu schützen und zusätzlichen Platz zu schaffen verglasten die Bauherren ihre Balkone. Die gesamte Altstadt bauten sie nach diesem Muster. Seit 1976 steht sie unter Denkmalschutz.

Straße der Neger

Zum Mittagessen landen wir in einer Tapas-Bar am Hafen. Moisés zeigt auf das uralte Straßenschild über unseren Köpfen. „Calle de los Negros“ steht dort in schwarzer Handschrift auf beigefarbenen Fliesen, „Straße der Schwarzen“ oder „Neger“. „Hier haben sie die Sklaven auf die Schiffe nach Amerika getrieben“, erklären mir meine neuen Freunde. Kaum war die Fracht aus der „Neuen Welt“ gelöscht stachen die Segler vollgestopft mit verschleppten Menschen aus Afrika wieder in See. Man kettete sie dicht gedrängt unter Deck an die Balken. Wer diese Höllentour überlebte, brachte auf den Sklavenmärkten der Karibik oder Brasiliens den Menschenhändlern viel Geld. Den „Schwund“ warf man unterwegs über Bord.

Heute erinnert außer dem Straßennamen dieser kurzen Gasse am Hafen nichts an diese finsteren Zeiten. Die Cádizer leben lieber im Heute, bevölkern die vielen Cafés und Restaurants. Sogar auf den kaum einen Meter breiten Bürgersteigen der kleinwagenschmalen Gassen finden die Cafébetreiber noch einen Platz für ihre Tische und Stühle. In der kühleren Jahreszeit zieht es die Leute auf die sonnigen Plätze wie die Plaza San Francisco, San Antonio oder Minas. Auf den hölzernen und schmiedeeisernen Bänken, die die Stadt auf den verkehrsberuhigten oder autofreien Plätzen aufgestellt hat, genießen die Anwohner die Sonne. Die meisten kennen sich. Aus fast jedem der vielen Que tal, Hallo, wie geht’s entspinnt sich ein Gespräch. „Die Leute“, hat mir Stadtführer Antonio lachend erklärt, „lassen sich die Laune von der schwierigen Wirtschaftslage nicht vermiesen.“ Nur in der ersten Woche im Monat seien manche schlecht drauf. „Dann kommen die Rechnungen.“

Er kenne viele Zugezogene, die nach ein paar Wochen in Cádiz „ruhiger und entspannter“ geworden seien. Ich merke den Effekt schon am ersten Tag.

Malkurs bei Maler Cecilio Chaves in Cádiz, 24.3.2017, Foto: Robert B. Fishman

In der Abenddämmerung scheint ein helles Licht aus großen Fenstern auf die Kolumbusstrasse, die Calle Cristobal Colón. In einem großen Raum malen in einem Gewirr von Staffeleien und Tischen mit Farbpaletten Männer und Frauen mit Ölfarben auf Leinwände. Maler Cecilio Chaves gibt sein Wissen weiter. An den gut fünf Meter hohen Wänden hängen seine leuchtend bunten Bilder: weisse Häuser am Meer, Porträts, die Kathedrale mit der Skyline der Altstadt. Cecilio liebt vor allem das klare, helle Licht seiner Heimatstadt. Immer wieder schlendert er durch die Gassen der Altstadt. Obwohl er jeden Winkel kennt, entdeckt er immer wieder etwas Neues. Für ihn gibt es zwei Cádiz: Die Landschaft der Dächer mit ihren Dachterrassen und Aussichtstürmen und das der Altstadtgassen- und Plätze. 20 Jahre war der Profi-Maler weg, hat an der Kunsthochschule Städel in Deutschland studiert und in Galicien gelebt. Nach einer Scheidung kam er zurück. „Das Licht“ habe ihm im Norden gefehlt, die Sonne und „der Ozean, der die Seele öffnet“. All das hat Cecilio, der feingliedrige Maler mit der sanften, beruhigenden Stimme, in seinen fotorealistischen Bildern eingefangen.

Zwei Häuser weiter streichelt ein kleiner Mann zart über ein hauchdünnes Blatt Palisanderholz. Die Tür zu seiner winzigen Werkstatt steht offen. Fernando Gómez baut als einer der letzten in Cádiz klassische Gitarren. Er bittet mich freundlich herein, erklärt mir warum Gitarren aus Palisander anders klingen als solche aus Zedernholz und warum ihn seine Arbeit auch nach 38 Jahren weiterhin „glücklich macht“. Immer wieder klopft er auf das in Gitarrenform geschnittene Holzblatt, hält es an sein Ohr um seinem Klang zu lauschen. Er spüre die innere Verbindung zwischen dem tönenden Holz und dem Menschen.

Lege Deine Hände auf meine und folge mir“, habe ihm einst sein „Meister“ José Luis Romanillo geraten. So habe er, Fernando, das Handwerk im wahrsten Sinne des Wortes begriffen. Mit dem Lernen sei er längst nicht fertig. Jeden Tag entdecke er Neues in seiner Berufung, die er als Geschenk erlebe. Gitarrenbauer gebe es viele, aber nur wenige, die ihren Instrumenten ihre Seele mitgeben.

Ich höre dem kleinen, schmalen 51jährigen zu, folge seinen feinen Bewegungen und sehe erst zum Ende des Gesprächs die Zettel an der Wand: „Ich kann nicht Gitarre spielen“ steht darauf, weil ihn so viele wie ich danach fragen. „Stradivari konnte auch nicht Geige spielen“, ergänzt er lachend. Halb im Spaß heisst es auf dem zweiten Blatt: „Verbotene Frage: Wie gehen die Geschäfte.“ Gut, hat mir Fernando schon vorher erzählt. Von der großen Nachfrage lässt er sich nicht aus der Ruhe bringen. Wenn er ein Stück Holz vorsichtig fein hobelt oder den Deckel einer Gitarre – „90 Prozent des Klangs“, wie er sagt – kreisend glatt schleift, haben seine Bewegungen und sein konzentrierter Blick etwas Meditatives.

Fernando ist im Altstadtviertel Santa Maria mit der Musik aufgewachsen, für die er seine Gitarren baut: Dem Flamenco. Entstanden sei der Klang Andalusiens als Gesang. Für Instrumente hatten Spaniens „Zigeuner“, die Gitanos, kein Geld. Irgendwann seien sie auf die Idee gekommen, aus dem Holz der Zypressen, die auf den andalusischen Friedhöfen wachsen, Gitarren selbst zu bauen.

Die Seele Andalusiens

Emilio Florido singt den traditionellen Cádizer Flamenco auf seinen Konzerten in ganz Europa, Asien und Amerika. Gerne gibt er mir ein kleines Interview in Fernandos Werkstatt. Cádiz sei die Stadt mit dem meisten Palos, den traditionellen Flamenco-Liedern. Viele berühmte Sänger und Tänzer hätten von hier aus die Welt erobert. Wie Gitarrenbauer Fernando ist Emilio mit der Musik aufgewachsen. „Auf den Gassen der Altstadtviertel haben die Leute immer gemeinsam gesungen und getanzt“, erinnern sich die beiden. „Arm waren sie alle, aber für die Musiker gab es immer etwas zu Essen und zu Trinken.“

Flamenco in der La Perla Flamenca in Cádiz, 24.3.2017, Foto: Robert B. Fishman

Die Ursprünge des Flamenco liegen im Dunkeln der Geschichte. Viele Elemente hätten die Gitanos, Spaniens „Zigeuner“ aus Indien und dem Nahen Osten mitgebracht. Hinzu kamen maurische Einflüsse und die gregorianischen Gesänge mittelalterlicher Klöster. Auswanderer nahmen die Tradition mit nach Kuba und Argentinien. Von dort kam sie Generationen später stark verändert wieder zurück.

Emilio, der Sänger und Komponist nennt den Flamenco „eine eigene Sprache“. Tänzer und Sänger müssen während der Stücke genau aufeinander achten. Klackert der oder die eine mit den Absätzen auf den Bühnenbrettern, muss der Andere aussetzen. Die Übergänge sind fließend.

Die Texte erzählen von Freuden und Leiden des Alltags, von Liebe und Traurigkeit. In Cádiz entstand eine eigene Richtung: In den Malageñas de Cádiz, spiegelten sich auch die gregorianischen Gesänge eines Klosters der Region. Viele Stücke seien auch „sehr politisch, prangern Ungerechtigkeiten an und kritisieren die Mächtigen.“ So gab es während der Franco-Diktatur kaum öffentliche Konzerte. 1936 ermordeten Francos Faschisten einen der bekanntesten Flamenco-Sänger Andalusiens: Der Dichter, Dramatiker, Sänger und Komponist Frederico García Lorca hatte sich zu seiner Homsexualität bekannt und mit der Linken sympathisiert. Emilio lässt sich von seinen Werken inspirieren. Auch viele seiner Cadizer Kindheitserinnerungen fließen in seine Lieder ein. Er hatte das Glück, dass seine flamencobegeisterte Mutter früh sein Talent entdeckte und ihn mit drei Jahren auf eine Tanzschule schickte. Mit sieben Jahren begann er, Gitarre zu spielen und schloss sich einem der vielen Karnevals-Chören an. Ob zum Fasching oder für die Karwoche Semana Santa, die Cádizer lieben Musik, singen in Chören und spielen Instrumente.

Politischer Aufbruch

Der Mikrokosmos Altstadt Cádiz mit kreativen, freundlichen Menschen wie Fernando, Cecilio und vielen anderen fasziniert mich so, dass ich meinen geplanten Ausflug in die Umgebung immer wieder verschiebe, bis ich endlich losfahre: mit der Fähre auf die andere Seite der Bucht nach Santa Maria und eine Radtour auf die andere Seite der Bucht in den stillen Naturpark Turoños. Nach meiner Rückkehr lädt mich Fahrradvermieterin Maite zu einem Treffen der touristischen Unternehmer der Stadt ein. Die meisten sind Gründer, die Stadtführungen anbieten, Internetseiten aufsetzen und andere Dienstleistungen anbieten. Mittendrin die gerade 30jährige neue Tourismusbeauftragte der Stadt. 2015 beendete die Kommunalwahlen die endlos erscheinende Herrschaft der konservativen Partei PP. Spaniens junge, basisdemokratische Protestpartei Podemos („Wir können“) hat zusammen mit der Linken die Mehrheit im Stadtrat gewonnen. Die neue Stadtregierung will die Bürgerinnen und Bürger an wichtigen Entscheidungen beteiligen, hat in den Stadtvierteln Runde Tische für die Anwohner eingerichtet und die horrenden Schulden der Gemeinde reduziert. Kleinunternehmen bekommen statt Subventionen zinslose Mikrokredite über 1000 Euro für Existenzgründungen und Investitionen. „Das Geld kommt zurück und kann weiteren Leuten helfen“, verspricht die Tourismusmusbeauftragte Laura Jiménez Ortega. Städtische Aufträge erhielten nur noch Unternehmen, die ihre Leute angemessen bezahlen. Wer sozial Benachteiligte einstelle, bekomme zusätzliche Pluspunkte für die Auswahl. Viele in der Stadt haben nach Jahrzehnten konservativer und sozialistischer Misswirtschaft das Vertrauen in die Politik verloren. Es zurück zu gewinnen wird lange dauern. Aber Cádiz war schon vor 200 Jahren die einzige Stadt Spaniens, die der Belagerung Napoleon widerstand. 1812 wurde hier die erste Verfassung des Landes verabschiedet, die die Macht des Königs beschränkte und heute mischen sich die Bürger ein. Eine Initiative kämpft zum Beispiel dafür, die Altstadt komplett vom Autoverkehr zu befreien. „Wo die Menschen zu Fuß gehen, sich auf den Straßen begegnen und ihre Umgebung bewusster wahrnehmen, kümmern sie sich mehr um ihr Gemeinwesen“, begründet einer der Engagierten seinen Einsatz. Cádiz ist da auf einem guten Weg.

Die 2015 eröffnete mehr als 500 Millionen Euro teure Brücke Puente de la Constitucion (mit 185 Metern eine der höchsten der Welt) verbindet Cádiz über die Bucht von Cádiz mit Puerto Real, 24.3.2017, Foto: Robert B. Fishman

Cádiz Info:

Tourist-Info der Stadt auch auf Deutsch

Reiseführer für Stadt und Provinz Cádiz (auch auf Deutsch)

Stadtführungen:

3 arbeitslose Geschichtsdoktoranden haben sich selbst einen Job geschaffen. Gemeinsam bieten sie alternative Führungen durch die Altstadt. Gerne klingen sie bei Anwohnern, fragen nach der Geschichte des Hauses, lassen sich die oft liebevoll gestalteten Innenhöfe zeigen und helfen Menschen, die mehr über die Entstehung und den Wandel ihrer Nachbarschaft wissen wollen. Die meisten Führungen bieten sie gegen Lebensmittelspenden an. Jetzt wollen Sie mit ihren Führungen auch Geld verdienen. Die Webseite geht demnächst online.

anschauen:

Torre Tavira : Das Flachdach des Aussichtsturm bietet den besten Blick über die Flachdächer und die weißen Häuser der Altstadt. Im obersten Stockwerk bietet eine Expertin alle halbe Stunde eine Führung durch die Camera Obscura. Ein Periskop beobachtet das Leben in den Gassen und über den Dächern der Altstadt in Echzeit und überträgt es live auf eine große weiße Fläche. Die antike Technik funktioniert mindestens so gut wie die modernen sozialen Netzwerke ;-), C/ Marqués del Real Tesoro 10

Römisches Amphitheater: Auf dem Weg vom Mittelmeer zum Atlantik war Cadiz eine der wichtigsten Städte im römischen Imperium. Erhalten geblieben ist aus jener Zeit das Amphitheater, c/ Mesón 11-13

Phönizisches Dorf: Unter dem modernen Theater Títere haben Archäologen eine komplette phönizische Siedlung ausgegraben. Sie zählt u den besterhaltenen weltweit. Auf einer Führung reisen die Besucher in die Vergangenheit der mit rund 3.000 Jahren ältesten Stadt Westeuropas. c/ San Miguel 15,

Casino Gaditano: im maurischen Mudejar-Stil von marokkanischen Handwerkern gestalteter Innenhof mit dem Sitz einer reichen Kaufmannsgesellschaft, heute teilweise Coworking-Space, Plaza San Antonio 15

Altstadt-Skyline mit Kathedrale Das Kreuz über dem Meer über der Altstadt von Cadiz, 24.3.2017, Foto: Robert B. Fishman

Die Kathedrale über dem Meer: Um der Welt ihren Reichtum zu zeigen und dem Herrgott zu danken begannen die Cádizer oder, wie sich selbst nennen, Gaditanos 1722 mit dem Bau ihrer neuen Kathedrale zum Heiligen Kreuz über dem Meer (Santa Cruz sobre el Mar). Weil die immer größeren Schiffe nicht mehr den Guadalquevir-Fluss hinauf in Andalusiens Hauptstadt Sevilla gelangten, hatte fünf Jahre zuvor Cádiz das Monopol für den Seehandel mit Lateinamerika erhalten. Das goldene Jahrhundert der Stadt begann. Dennoch zog sich der Kirchenbau über 116 Jahre. So finden sich in der Kathedrale drei verschiedene Baustile: Barock, Rokoko und Neoklassizismus,

Plaza de Mina: Auf dem von Bürgerhäusern aus dem 18. Jahrhundert gesäumten Platz gedeihen exotische Pflanzen, die die Kolonisatoren aus Lateinamerika mitgebracht haben: Akazien, ein 100 Jahre alter Gummibaum, Yacaranda und mehr. In ihren Wipfeln lebt eine wilde Papageienkolonie.

Cafés:

Cafe Royalty: Original erhaltenes mit Wandmalereien und Kronleuchtern verziertes Luxus Cafe von 1912

Café Malagueño: Gemütliches kleines Straßencafé in einer Gasse im ältesten Viertel El Populo hinter der Kathedrale, C / Mesón 5

Lesecafé mit Buchladen La Clandestina, c/ José del Toro 23

Lecker:

Auf ihrem Blog berichten Antonio und seine Freundin von ihren Tapas-Kochabenden, die sie regelmäßig unter dem Dach (oder auf der Dachterrasse) ihrer Wohnung veranstalten. Schon beim Anschauen der Bilder kommt der Hunger

Markthalle Mercado Central: Neu gestaltet hat die Stadt den Platz um die Markthalle. Drinnen biegen sich manche der Auslagen fast unter Bergen von frischem Fisch und Gemüse. Besonders gefragt: Tunfisch aus der nahen Meerenge von Gibraltar, Merluza (Seehecht) und Meeresfrüchte aller Art. Auf der linken Seite der Halle (vom Haupteingang aus gesehen) verkaufen Imbissbuden frische Leckereien in allen Variationen zu günstigen Preisen, die sich auch Einheimische leisten können, Plaza Topete.

Am Blumenmarkt nebenan holen sich viele Einheimische frittierte Meeresfrüchte auf die Hand in Papiertüten in der Freiduria Las Flores, Plaza Topete 4

Kunst:

Cecilio Cháves malt seine geliebte Heimatstadt in leuchtenden Farben. Viele seiner Bilder sind so detailgenau, dass man sie kaum von Fotos unterscheiden kann. In seinem Atelier gibt er Malkurse, C. Cristobal Colón 17,

Casa de Iberoamerica: Wechselnde Ausstellungen lateinamerikanischer Künstler, Calle Concepción Arenal, s/n

Musik:

Viele bekannte Flamencosänger und -Tänzer stammen  aus Cádiz. Überregional bekannt sind die Chrigotes-Chöre, die zu Karneval mit ihren Spottgesängen durch die Straßen ziehen.

Livemusik gibt es u.a. regelmäßig (oft kostenlos) im

El Pelícano,  Avenida Fernández Ladreda 1

Liedermacher, Dichter, Gitarrist und Sänger Fernando Lobo gewinnt viele Inspirationen in seiner Heimatstadt, geht oft am Meer spazieren oder streunt durch die Gassen der Altstadt.

Flamenco:

Mehrere Bars und Clubs bieten regelmäßig Flamenco -Abende an, zum Beispiel Peña Flamenca La Perla de Cadiz, C/ Carlos Ollera (an der Strandpromenade)

Ihre Gitarren bestellen die Musiker gerne bei Instrumentenbauer Fermando Gómez. Der 52jährige fertigt die Gitarren von Hand. „Jede hat eine Seele, die Du spüren musst“, schwärmt der Künstler. Er lässt sich gerne bei der Arbeit in seiner Werkstatt zusehen, c/ Cristobal Colón 13

Mündung des Flusses Guadalquivir in den Atlantik in San Lucar de Barrameda, 24.3.2017, Foto: Robert B. Fishman

Strände: Vamos a la Playa

Cádiz liegt nicht am sondern im Meer. Nur ein Landstreifen verbindet Alt- und Neustadt mit dem Festland. Ein steter Wind kühlt im Sommer die schattigen Gassen der Altstadt. Zum Strand sind es immer nur ein paar Schritte.

Der Beliebteste:

La Caleta mit dem blütenweißen Strandbad der vorletzten Jahrhundertwende (heute leider ein geschlossenes Unterwasser-Forschungsinstitut)

Der Längste:

La Victoria von der Puerta de Tierra bis weit aufs Festland rund 30 km Sandstrand.

Strandpromenade La Caleta in Cadiz, 24.3.2017, Foto: Robert B. Fishman

Wandern:

An der Kathedrale von Cádiz beginnt der spanische Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Markiert ist er mit einer Muschel.

Fahrrad / Velo:

Mehrere Anbieter organisieren geführte Radtouren und vermieten Velos:

Urban Bike, C/ Marques de Valdeinigo 4, , Gepäckaufbewahrung für 5€/Tag, 3€ / halber Tag, Inhaberin Maite engagiert sich wie viele andere in Bürgerinitiativen für eine fahrradgerechtere Stadt und eine umweltfreundlichere Verkehrspolitik. Unter der neuen Stadtratsmehrheit von Linken und Podemos geht es damit endlich ein wenig voran.

Las Bicis Naranja, C/Antonio Lopez 5,  Hier git es auch die Kombination aus Radtour und Surfkurs, außerdem Themen- und Apr. bis Okt. Foto-Rad-Touren

Ausflüge:

Zu Fuss oder mit dem Velo auf die Fähre (www.catamaranbahiacadiz.es, Fährableger gleich hinter der Hafen-Einfahrt ins gegenüberliegende, etwas heruntergekommene, aber vom Tourismus noch kaum berührte Städtchen El Puerto de Santa Maria. Von hier geht es über die rote Brücke und ein ödes Gewerbegebiet nach Valdagrana und weiter Richtung Puerto Real in den mehr als 1000 Hektar großen Naturpark Los Toruños. Zurück kommt man mit dem Zug ab der Station Universidad am Südrand des Parks oder ab Puerto Real.

Dolmen:

Eigenen Schmuck fertigen die Besucher unter Anleitung des Inhabers im Dolmen Estudio Taller A. Collantes, C/ Isabel La Católica 9,. Besonders gerne kommen Hochzeitspaare, die sch hier gemeinsam ihre Eheringe formen.

Noch mehr Cádiz auf dem Blog Photoventure

Hinweis: Die Recherche zu diesem Beitrag wurde unterstützt vom Spanischen Fremdenverkehrsamt Turespaña und der Stadt Cádiz, Muchas gragias. Eine gekürzte Fassung dieser Reportage erscheint demnächst im Schweizer Globetrotter Magazin.

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Von Robert B Fishman

freier Journalist, Autor (Hörfunk und Print), Fotograf, Moderator, Reiseleiter und mehr

Eine Antwort auf „Cádiz: Die weisse Insel an der Küste des Lichts“

Hallo,
wir sind mit einer Gruppe von 10 Personen in Novi Sancti Petri und würden gerne am Freitag, 31.05.2019, eine geführte Radtour durch Cadiz machen. Der Guide sollte Deutsch sprechen. Können Sie mir hierzu Informationen senden.

Danke vorab
August Harscher

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